Drei Monate. Das sind 91 Tage, 2184 Stunden. Stunden, in denen ich mich vor Lachen gekugelt habe, Stunden in denen mir zum Heulen war, Stunden zum Heimweh haben und Stunden zum Raus-in-die Welt-gehen, Stunden, in denen mir die Zeit davon rannte und Stunden, die nicht vergehen wollten. 2184 sind auch ein Viertel meines Freiwilligendienstes in Oradour-sur-Glane.
Zeit für einen neuen Logbucheintrag.

Nachdem ich das in meinem letzten Eintrag vernachlässigt habe, nun eine kurze Vorstellung meines Projektes: das Centre de la Mémoire bildet mit dem Ruinendorf („village martyr“) die Gedenkstätte von Oradour-sur-Glane. In dem vormals idyllischen Dorf im Limousin wurden am 10. Juni 1944 642 Männer, Frauen und Kinder von einer Division der Waffen-SS auf grausamste Art und Weise ermordet.

Oradour gilt seither als ein Symbol für die Gräueltaten der SS in Frankreich – und leider auch als Symbol für die unzureichende Aufarbeitung dieser Verbrechen.

 

Nachdem ich im September und Oktober viel im Archiv des Centre de la Mémoire gearbeitet habe, wurde meine Arbeit schlagartig sehr vielfältig und nimmt mich immer mehr in Anspruch.

Mit der Dokumentelistin des Centre de la Mémoire besuche ich Zeitzeugen, beispielsweise die Tochter eines Überlebenden des Massakers von Oradour oder aber auch eine Mitgründerin der Freien Universität Berlin und der taz, die hier im Limousin lebt – sie hat nicht unmittelbar etwas mit Oradour zu tun, aber diese Frau ist eine sehr interessante Persönlichkeit und wir möchten gern in Kontakt mit ihr bleiben.

Immer wieder mache ich Übersetzungen, etwa für den Kontakt mit Personen in Deutschland, von Zeitungsartikel oder neulich von einer Radiosendung.

„Nebenher“ tippe ich die Texte von Feldpostkarten eines deutschen Soldaten aus dem ersten Weltkrieg ab, die wir im Archiv haben, und übersetze sie ins Französische. Der Schreiber hat die Sütterlin-Schrift verwendet, die ich erst lesen lernen musste – als ich dann Wörter wie „Gulaschkanone“ entziffern konnte, klopfte ich mir innerlich selber auf die Schulter!

Ein kurzes Wort noch einer Sache, die mich in letzter Zeit auch beschäftigt hat: in Deutschland werden zur Zeit Prozesse gegen noch lebende SS-Männer, die in Oradour waren, angestrengt. Einige Ermittler, sowohl aus Deutschland und aus Frankreich, die sich damit befassen, waren diesen Monat bei uns im Centre.

Über die Frage, ob es denn „heute noch Sinn mache“, Ermittlungen gegen diese Männer von 80, 90 Jahre anzustrengen, entfachen gerne hitzige Debatten. Immer mehr erfahre im Moment aber auch, wie unzureichend die Aufarbeitung des Massakers von Oradour vor allem von deutscher Seite war und wie schwierig zeitweise, Beziehungen von Oradour nach Deutschland aufzubauen. Und immer noch gibt es in Oradour offene Wunden.

Jedoch ist meine Meinung auch, dass Ermittlungen wie diese auch Bestrebungen dafür zeigen, dass so willkürliche und perfide Grausamkeit nicht geschehen darf und dass wir uns mit aller Kraft gegen Neofaschismus und Revisionismus wenden müssen.

Nun, dass war gerade mal ein grober Querschnitt von dem was mich zur Zeit in Oradour umtreibt – so viel treibt mich gerade um, dass ich seiten-, nein bücherweise erzählen könnte!

Denn neben meiner Arbeit in Centre de la Mémoire, auch wenn sie sehr zeitfüllend ist, auch noch Freizeit. Und die wird mit auch ausgelastet, etwa mit einem Sambakurs, Unternehmungen mit den neuen Bekannten, einem Kurztrip nach Paris und immer wieder netten Konzerten in Limoges.

Langweilig wird mich auf keinen Fall und ich ich bin dankbar für jeden Tag meines Friedensdienstes!

 

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